Die Legende von Sigurd und Gudrún

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Die Legende von Sigurd und Gudrún

von J. R. R. Tolkien;
Christopher Tolkien (Hrsg.);
Bill Sanderson (Ill.);
Hans-Ulrich Möhring (Übers.)

Klett-Cotta, Stuttgart 2010

ISBN 978-3-608-93795-4

Hardcover, 560 Seiten

Sprache: Deutsch, Englisch

Illustrationen: 7 schwarzweiße Zeichnungen

The Legend of Sigurd and Gudrún

von J. R. R. Tolkien;
Christopher Tolkien (Hrsg.);
Bill Sanderson (Ill.)

HarperCollins, London 2009

ISBN 978-0-00-731723-3

Hardcover, 384 Seiten

Sprache: Englisch

Illustrationen: 7 schwarzweiße Zeichnungen; faksimilierte Manuskriptseite als Frontispiz

Die Legende von Sigurd und Gudrún (im Original: The Legend of Sigurd and Gudrún) ist eine während der 1920er beziehungsweise 1930er Jahre gedichtete Ballade in Stabreimform von J. R. R. Tolkien und wurde als kommentierte und erweiterte Ausgabe am 5. Mai 2009 posthum von dessen Sohn Christopher durch die Verlage HarperCollins und Houghton Mifflin in englischer Sprache erstveröffentlicht; die Veröffentlichung der von Hans-Ulrich Möhring übersetzten deutschen Ausgabe erfolgte anhand einer zweisprachigen Fassung, die die Originalverse neben der deutschen Übersetzung wiedergibt, am 20. August 2010 durch den Verlag Klett-Cotta.[1]

Die Ballade ist von der nordischen Mythologie inspiriert und stellt eine Art Neufassung der Geschichte vom Schlangentöter Sigurd (der mit der Figur des Siegfried aus dem mittelhochdeutschen Nibelungenlied übereinstimmt) und dem Fall der Niflungen (die den Nibelungen des Nibelungenliedes gleich sind) nach Vorlage der beiden altisländischen Eddas dar; die Stabreimform orientiert sich dabei an der althergebrachten Versdichtung der älteren Lieder-Edda aus dem dreizehnten Jahrhundert.[2] Die Ballade umfasst etwas mehr als 500 (insgesamt 505) grundsätzlich achtzeilige Strophen[3] in zwei sogenannten Liedern: der Völsungakviða en nýja (dem „neuen Wölsungenlied“; im Original: The New Lay of the Völsungs) und der Guðrúnarkviða en nýja (dem „neuen Gudrúnlied“; im Original: The New Lay of Gudrún).

Inhalt

Das Buch enthält ein Vorwort von Christopher Tolkien[4] sowie eine Einleitung, editiert aus dem Skript einer Vorlesung Tolkiens über die Ältere Edda. Außerdem fügte Christopher Anmerkungen über die Versform und Entstehung der Gedichte hinzu. Zu jedem der beiden Gedichte verfasste er Kommentare, die die Handlung erläutern und auf größere Abweichungen der Gedichte von ihrer Vorlage hinweisen.
In den Anhängen erläutert Christopher kurz die Ursprünge der hier behandelten eddaischen Sagen und gibt noch einige Versfragmente seines Vaters wieder.

Das Kernstück des Buches jedoch sind zwei eng zusammengehörige Gedichte (in ihrer Form als Lieder (im Original Lays) bezeichnet): die Völsungakviða en nýja (das neue Wölsungenlied; im Original: The New Lay of the Völsungs) und die Guðrúnarkviða en nýja (das neue Gudrúnlied; im Original: The New Lay of Gudrún).

Kapitelübersicht der Originalausgabe Kapitelübersicht der deutschen Ausgabe
  • Foreword
  • Introduction
    • Introduction to the ‘Elder Edda’ by J. R. R. Tolkien
    • Introductory notes
      • §1 The ‘Prose Edda’ of Snorri Sturluson
      • §2 The Saga of the Völsungs (Völsunga Saga)
      • §3 The text of the poems
      • §4 The spelling of Norse names
      • §5 The verse-form of the poems
      • §6 Notes on the poems by the author
  • Völsungakviða en nýja (‘The New Lay of theVölsungs’)
    • Upphaf (Beginning)
    • I Andvara-gull (Andvari’s gold)
    • II Signý
    • III Dauði Sinfjötla (The Death of Sinfjötli)
    • IV FÅ“ddr Sigurðr (Sigurd born)
    • V Regin
    • VI Brynhildr
    • VII Guðrún
    • VIII Svikin Brynhildr (Brynhild Betrayed)
    • IX Deild (Strife)
  • Commentary on Völsungakviða en nýja
    • Upphaf (Beginning)
    • I Andvara-gull (Andvari’s gold)
    • II Signý
    • III Dauði Sinfjötla (The Death of Sinfjötli)
    • IV FÅ“ddr Sigurðr (Sigurd born)
    • V Regin
    • VI Brynhildr
    • VII Guðrún
    • VIII Svikin Brynhildr (Brynhild Betrayed)
    • IX Deild (Strife)
    • Note on Brynhild
    • Earlier Workings of Völsungakviða en nýja
  • Guðrúnarkviða en nýja (‘The New Lay ofGudrún’)
  • Commentary on Guðrúnarkviða en nýja
  • Appendices
    • Appendix A A Short Account of the
      Origins of the Legend
      • §I Attila and Gundahari
      • §II Sigmund, Sigurd and the Nibelungs
    • Appendix B The Prophecy of the Sibyl
    • Appendix C Fragments of a Heroic Poem
      of Attila in Old English
  • Vorwort
  • Einführung
    • Die »Ältere Edda« von J. R. R. Tolkien
    • Erläuterungen zu einzelnen Punkten
      • §1 Die »Prosa-Edda« des Snorri Sturluson
      • §2 Die Saga der Wölsungen (Völsunga Saga)
      • §3 Der Text der Gedichte
      • §4 Die Schreibung der nordischen Namen
      • §5 Die Versart der Lieder
      • §6 Anmerkungen des Verfassers zu den Gedichten
    • Zur Übersetzung von Hans-Ulrich Möhring
  • Völsungakviða en nýja Das neue Wölsungenlied
    • Upphaf Eingang
    • I Andvara-gull Andwaris Gold
    • II Signý
    • III Dauði Sinfjötla Sinfjötlis Tod
    • IV FÅ“ddr Sigurðr Sigurds Geburt
    • V Regin
    • VI Brynhildr Brynhild
    • VII Guðrún Gudrún
    • VIII Svikin Brynhildr Die betrogene Brynhild
    • IX Deild Streit
  • Kommentar zur Völsungakviða en nýja
    • Upphaf Eingang
    • I Andvara-gull Andwaris Gold
    • II Signý
    • III Dauði Sinfjötla Sinfjötlis Tod
    • IV FÅ“ddr Sigurðr Sigurds Geburt
    • V Regin
    • VI Brynhildr Brynhild
    • VII Guðrún Gudrún
    • VIII Svikin Brynhildr Die betrogene Brynhild
    • IX Deild Streit
    • Anmerkung zu Brynhild
    • Frühere Fassungen der Völsungakviða en nýja
  • Guðrúnarkviða en nýja Das neue Gudrúnlied
  • Kommentar zur Guðrúnarkviða en nýja
  • Anhang
    • (A) Zum Ursprung der Sage
      • §I Attila und Gundahari
      • §II Sigmund, Sigurd und die Nibelungen
    • (B) Die Weissagung der Seherin
    • (C) Fragmente eines Heldengedichts
      über Attila auf Altenglisch

Das neue Wölsungenlied

Völsungakviða en nýja – eða Sigurðarkviða en mesta – „Das neue Wölsungenlied – das längste Sigurdlied“ (im Original „The New Lay of the Völsungs - the Longest Lay of Sigurd“) – erzählt die Geschichte des Geschlechts der Wölsungen.

Das Gedicht beginnt mit einem Schöpfungsbericht, in dem eine Seherin verkündet, dass nur ein „Erwählter der Welt“[5] beim Ragnarök die Welt retten können wird.

Loki, der mit Ódin durch die Welt wandert, tötet einen Otter und zieht ihm das Fell ab. Als die Götter später bei dem Dämon Hreidmar um Unterkunft bitten, erkennt dieser das Fell als das seines Sohnes Otr, der Ottergestalt annehmen konnte. Hreidmar, mit Hilfe seiner Söhne Regin und Fáfnir, schlägt die Götter in Ketten und verlangt Wergeld für seinen Sohn Otr: so viel Gold, dass es das Fell füllt und vollständig bedeckt. Loki erpresst das Gold und einen wertvollen Ring von dem Zwerg Andwari, der daraufhin seinen Ring verflucht und Loki und Ódin den Tod wünscht, das Wergeld wird gezahlt und die Götter freigelassen.[6]

König Wölsung, ein Nachkomme Ódins, zeugt die Zwillinge Sigmund und Signý. Signý wird gegen ihren Willen mit Siggeir, dem König von Gautland, verheiratet. Nach der Hochzeit reisen Wölsung und seine Söhne zu einem Fest nach Gautland, doch sie werden von Siggeirs Kriegern hinterhältig angegriffen. Wölsung wird getötet und seine Söhne gefangen genommen. Doch Signý sorgt dafür, dass Sigmund als einziger überlebt und entkommen kann. Sie schläft mit ihrem Bruder und bekommt einen Sohn von ihm, Sinfjötli, der von seinem Vater erzogen wird. Später rächen Sigmund und Sinfjötli sich, töten Siggeir und setzen seine Halle in Brand. Doch Signý entscheidet sich, ebenfalls in den Flammen umzukommen[7]. Sigmund und Sinfjötli kehren heim, doch Sigmund nimmt sich eine Frau, die Sinfjötli hasst und ihn mit Gift tötet[8]. Als alter Mann nimmt Sigmund Sigrlinn zur Frau. Doch die Freier, die erfolglos um Sigrlinn geworben haben, greifen Sigmund an. Ódin erscheint in der Schlacht und zerbricht Sigmunds Schwert (das er von Ódin erhalten hatte), der daraufhin getötet wird. Sigrlinn gebiert Sigurd, Sigmunds Sohn[9], und wird vom Totschläger Sigmunds, dem König eines fernen Landes, zur Frau genommen. Sigurd wird von Regin, Hreidmars Sohn, aufgezogen.

Regin drängt Sigurd dazu, seinen Bruder, den Lindwurm[10] Fáfnir (ebenfalls ein Gestaltwandler), zu töten. Er berichtet, dass Fáfnir seinen Vater getötet und Andwaris Schatz für sich allein behalten habe[11]. Aus den Bruchstücken von Sigmunds Schwert schmiedet Regin für Sigurd das Schwert Gram; von Ódin bekommt Sigurd das Pferd Grani. Regin zeigt Sigurd den Weg zu Fáfnirs Höhle, und Sigurd tötet den Lindwurm. Nach Fáfnirs Tod beschuldigt Regin Sigurd des Brudermordes. Sigurd bemerkt, dass Regin ihn hinterrücks ermorden will, doch er schafft es, ihn zu töten. Er lädt Grani Andwaris Schatz auf, setzt sich Fáfnirs Helm auf und reitet davon.[12]

Auf dem Weg bemerkt Sigurd ein übernatürliches Feuer auf dem Gipfel eines Berges. Grani springt durch das Feuer, dahinter findet Sigurd einen Krieger in übernatürlichem Schlaf. Er nimmt ihm den Helm ab und entdeckt, dass es sich um eine Frau handelt; er schneidet ihr das Kettenhemd auf, und die Kriegerin erwacht. Sie ist die Walküre Brynhild, die geschworen hat, nur den „Erwählten der Welt“, den Schlangentöter[13], zu heiraten. Sigurd gibt sich als der Schlangentöter zu erkennen, und sie verloben sich. Doch Brynhild kehrt in ihr eigenes Reich zurück und erwartet von Sigurd, dass er die Königswürde und ein Königreich erlangt, bevor sie heiraten. So kommt Sigurd an den Hof König Gjúkis nach Burgund.[14]

Er zieht mit den Söhnen des Königs, Gunnar und Högni, in die Schlacht, wo er Siege erringt, Ruhm erwirbt und das Königreich seines Vaters zurückerobert. Grímhild, Gjúkis Frau, will Sigurd mit ihrer Tochter Gudrún verheiraten. Daher gibt sie Sigurd einen Zaubertrank, der ihn all seine Liebschaften (und so auch Brynhild) vergessen lässt. Er verliebt sich in Gudrún, heiratet sie und schwört mit ihren Brüdern Treueeide[15].

Brynhild wird von zahlreichen Freiern umworben, da ihre Schönheit weithin berühmt ist, doch sie tötet ihre Freier. Ódin verpflichtet sie, zu heiraten. Daraufhin umgibt sie ihre Burg mit übernatürlichem Feuer und macht es zur Bedingung, dass, wer sie heiraten will, das Feuer durchreiten muss.
Grímhild erfährt von Brynhild und beschließt, dass Gunnar sie zur Frau nehmen soll. Sie schickt ihn zusammen mit Sigurd auf den Weg. Da Gunnar das Feuer nicht durchreiten kann, trinkt Sigurd einen Zaubertrank Grímhilds, der ihn wie Gunnar aussehen lässt. Er durchreitet das Feuer auf Grani und gibt sich Brynhild gegenüber als Gunnar aus. Sie legen sich schlafen, doch Sigurd legt Gram nackt zwischen sie. Am Morgen nimmt er Brynhild im Schlaf den Verlobungsring ab, den er ihr zuvor gegeben hatte.[16]

Später kommt Brynhild an Gjúkis Hof und heiratet Gunnar. Dort entdeckt sie, dass Sigurd ihre Verlobung gebrochen hat; als Sigurd Brynhild sieht, fällt der Zauber des Vergessens von ihm ab und er erinnert sich an seine Verlobung mit ihr. Brynhild provoziert Gudrún damit, dass ihr Mann königlicher sei, da er ihr übernatürliches Feuer bezwungen habe. Gudrún verhöhnt sie und zeigt ihr, dass sie Brynhilds Ring trägt. So erfährt Brynhild, dass sie betrogen wurde. Sie will sich rächen und behauptet daher Gunnar gegenüber, Sigurd habe mit ihr geschlafen. Gunnar bringt daher seinen Halbbruder Gotthorm dazu, Sigurd zu töten. Nachdem Sigurd tot ist, bringt auch Brynhild sich um. Sie und Sigurd werden Seite an Seite verbrannt.[17]

Das neue Gudrúnlied

Guðrúnarkviða en nýja – eða Dráp Niflunga – „Das neue Gudrúnlied – die Tötung der Niflungen“ (im Original „The New Lay of Gudrún - the Slaughter of the Niflungs“) – erzählt vom Untergang der Niflungen nach Sigurds Tod.

Im Osten gewinnen die Hunnen unter ihrem König Atli an Macht und drohen, eine Gefahr für das Königreich Burgund zu werden. Daher beschließen Grímhild und ihre Söhne, dass Gudrún Atli heiraten soll. Grímhild zwingt Gudrún, in die Heirat einzuwilligen.[18]

Atli hat von Andwaris Schatz, den die Niflungen von Sigurd geerbt haben, erfahren. Nach der Hochzeit wächst seine Gier nach dem Gold, daher beschließt er, Gunnar und Högni in einen Hinterhalt zu locken. Er lädt sie zu einem Fest in seine Burg ein.[19]

Gunnar und Högni reisen zum Hof Atlis, den sie verteidigungsbereit vorfinden. Sie erstürmen die Burg mit ihren wenigen Kriegern. Die Goten an Atlis Hof schließen sich den Niflungen an, und gemeinsam erobern sie die Burg. Doch als Gunnar und Högni Atli in ihrer Gewalt haben, bittet Gudrún sie, ihren Ehemann freizulassen. Sie entsprechen ihrer Bitte, obwohl sie um die Folgen wissen.[20]

Atli hebt im ganzen Land Truppen aus und belagert seine eigene besetzte Burg, doch die Niflungen und Goten verteidigen sich noch fünf Tage lang. Dann setzt Atli die Burg in Brand und räuchert seine Feinde aus. Gunnar und Högni werden lebend gefangen genommen.[21]

Gudrún bittet Atli um ihrer gemeinsamen Söhne Erp und Eitill Willen um das Leben ihrer Brüder. Atli will den Schatz der Niflungen als Lösegeld. Gunnar besteht darauf, dass erst Högni getötet werden muss, da der die Hälfte des Schatzes besitzt, das Gold aber niemals aufgeben würde. Atli lässt Högni töten. Nun kennt Gunnar als Einziger den Aufbewahrungsort des Schatzes, doch er weigert sich, ihn an Atli zu verraten. Atli lässt ihn in eine Schlangengrube werfen, wo er stirbt.[22]

Gudrún tötet ihre beiden Söhne, um sich an Atli für den Mord an ihren Brüdern zu rächen. Anschließend ersticht sie ihren Mann im Schlaf. Zuletzt wandert Gudrún allein zur Meeresküste und wirft sich ins Wasser, doch sie wird wieder an Land gespült. Dort beklagt sie die Schicksalsschläge, die sie trafen. Anschließend stürzt sie sich noch einmal ins Meer und ertrinkt.[23]

Werkgeschichte

Wann die Gedichte (das neue Wölsungenlied und das neue Gudrúnlied) rund um Die Legende von Sigurd und Gudrún entstanden sind, ist nicht abschließend geklärt: Laut dem Verlag HarperCollins verfasste Tolkien die Gedichte im Lauf der 1920er und 30er Jahre in der Tat geht zumindest Tolkiens Sohn Christopher in seinem Vorwort zu Die Legende von Sigurd und Gudrún davon aus, dass es durchaus schwer (wenn nicht gar unmöglich) ist, den genauen Zeitpunkt der Formierung der Ballade zu rekonstruieren: Er datiert ihre Entstehung auf die 1930er Jahre.
Fest steht aber wohl, dass die Entstehungszeit in die Jahre 1926 bis 1939 fällt, da Tolkien in dieser Zeit enormes Interesse an der nordischen Sprache und Literatur bekundete und zusätzlich zu seiner Tätigkeit als Angelsächsisch-Professor in Oxford jedes Jahr Vorlesungen und Seminare über die altnordische Sprache (vor allem das Altisländische) und Literatur (vornehmlich die Eddas und Skaldendichtungen) hielt[24].

Als Folge der Studien dieser Zeit entstand wohl die Idee, den Erzählstoff und die Dichtung der Älteren Edda als Vorlage für eine Bearbeitung der Niflungen-Geschichte (insbesondere der Sigurd-Erzählung) für die englische Sprache zu verwenden[25]; diese Idee endete in der Balladendichtung der Neuen Lieder (im Original: New Lays): dem neuen Wölsungenlied (Völsungakviða en nýja) und dem neuen Gudrúnlied (Guðrúnarkviða en nýja).
Da das Manuskript der Älteren Edda jedoch leider nicht vollständig ist und Tolkien somit nicht vollkommen als Quelle dienen konnte, muss er ebenfalls auf die in altisländischer Sprache verfasste Wölsungen-Saga (Völsunga Saga) zurückgegriffen haben, die eine Prosa-Wiedergabe einiger Gedichte der Edda ist.
Auf die Beziehung Tolkiens und seiner Ballade zu ihren mittelalterlichen Quellen geht dessen Sohn Christopher wie folgt in seinem Vorwort zum Werk ein:

Die Beziehung dieser Gedichte zu ihren mittelalterlichen Quellen ist komplex; sie sind keinesfalls als Übersetzung anzusehen. Diese verschiedenartigen Quellen enthalten allerlei Unklarheiten, Widersprüche und Rätsel, und diese Probleme anzugehen war die erklärte Absicht, die mein Vater mit der Abfassung der ‚Neuen Lieder‘ verband.“[26]

Weiter heißt es:

Den in den Liedern der Älteren Edda vorliegenden Sagenstoff zu ‚vereinigen‘, zu ‚systematisieren‘: so drückte er [J. R. R. Tolkien] es vierzig Jahre später aus. Inhaltlich ist sein Gedicht, um nur von der Völsungakviða en nýja zu sprechen, im wesentlichen ein Ordnen und Klären, das Herausarbeiten eines sinnvollen Plans, einer Struktur.“[27]

Als Grundlage für die bezeichnende Stabreimversform seiner Ballade gebrauchte Tolkien die achtversige stabreimende Fornyrðislag-Strophe (als „Metrum/Versmaß der alten Sagen“ oder „Altredeton“ übersetzbar), die aufgrund ihrer Verwendung in der Älteren Edda auch als eddisches Versmaß bezeichnet wird[28].

Balladenform

Das Herzstück des Buches bildet, wie bereits erwähnt, eine über insgesamt 505 Strophen verfügende Ballade von J. R. R. Tolkien, die sich in zwei Gedichte in Stabreimform gliedert: die Völsungakviða en nýja („das neue Wölsungenlied“, im Original: „the New Lay of the Völsungs“) und die Guðrúnarkviða en nýja („das neue Gudrúnlied“, im Original: „the New Lay of Gudrún“).

Die Völsungakviða en nýja verfügt über eine Einleitung (Upphaf - Eingang, im Original: Upphaf - Beginning) mit zwanzig achtversigen Strophen und weitere 319 ebenfalls achtversige Strophen in neun Teilen (Kapiteln) – also über insgesamt 339 Strophen.

Strophenübersicht der Völsungakviða en nýja
  • Upphaf 20 Strophen
  • I Andvara-gull 15 Strophen
  • II Signý 41 Strophen
  • III Dauði Sinfjötla 13 Strophen
  • IV FÅ“ddr Sigurðr 18 Strophen
  • V Regin 54 Strophen
  • VI Brynhildr 23 Strophen
  • VII Guðrún 39 Strophen
  • VIII Svikin Brynhildr 34 Strophen
  • IX Deild 82 Strophen

Die Guðrúnarkviða en nýja verfügt (anders als die Völsungakviða en nýja) nicht über eine Einleitung oder einzelne Teile (Kapitel); sie verfügt über 166 Strophen.

Beide Gedichte verfügen über eine für die mittelalterlichen altnordischen Dichtungen (wie Skaldendichtungen und die Ältere Edda, die Tolkien als Vorlagen für Die Legende von Sigurd und Gudrún dienten) kennzeichnende Form: die achtversige Stabreimform namens Fornyrðislag. Dabei verfügt jede Strophe über acht Verse, die jeweils in Stabreimen verfasst sind.
Bei Stabreimen handelt es sich um eine besondere Form der Alliteration[29] (wie in: und wie's auch rast und ringt und rennt[30]), die nach bestimmten Regeln und entsprechend dem germanischen Akzent ausgeprägt ist und bei der nur die bedeutungsschweren Wörter hervorgehoben werden[31].
Das Stabreimen (Bilden eines Stabreimes) wird auch als Staben bezeichnet; so staben im Beispiel „und wie's auch rast und ringt und rennt“[32] die drei r.

Für das Staben der in den nordischen Dichtungen und der Legende von Sigurd und Gudrún verwendeten Stabreimform gilt:

  • Alle Konsonanten und die Verbindungen st, sp und sk staben nur mit sich selbst
  • Alle Vokale staben untereinander und mit sich selbst.[33]

Dadurch ergeben sich in der Völsungakviða en nýja Verse wie:

Of Grímnir's gift / guard the fragments;[34] oder
Grímnirs Gabe / glänzt alsbald neu.[35]

Die Guðrúnarkviða en nýja verfügt dementsprechend über Verse wie:

Daylight grew dim, / dark shadows walked[36] oder
Schwarze Schatten / schritten gen Abend[37].

Ausgaben

Englische Ausgaben (The Legend of Sigurd and Gudrún):

  • Gebundene Ausgaben:
    • Standard-Hardcover-Ausgabe: mit sieben schwarz-weißen Innenillustrationen (ISBN 978-0-00-731723-3)
    • Exclusive Deluxe Edition: limitiert auf 500 Exemplare, signiert von Christopher Tolkien, enthält eine faksimilierte Seite aus Tolkiens Manuskript, handgebunden in Ziegenleder, mit goldenem Seitenschnitt, in mit Veloursleder ausgeschlagener Aufbewahrungsbox (ISBN 978-0-00-731972-5)
    • Deluxe Collector’s Edition: enthält eine faksimilierte Seite aus Tolkiens Manuskript, Hardcover mit Goldprägung, im Schuber (ISBN 978-0007317257)
  • Hörbuchausgaben:
    • The Legend of Sigurd and Gudrún - Audiobook: von Brian Cox als Hörbuch eingelesen (ISBN 978-0007318827).

Deutsche Ausgaben (Die Legende von Sigurd und Gudrún):

  • Gebundene Ausgaben:
    • Standard-Hardcover-Ausgabe: mit sieben schwarz-weißen Innenillustrationen (ISBN 978-3-608-93795-4)

Illustrationen

Die Illustrationen von Bill Sanderson[38] sowie das Umschlagfoto der englischen Originalausgabe haben die Schnitzereien auf dem Türrahmen des ehemaligen Westportals der Stabkirche von Hylestad (im südlichen Norwegen) zur Grundlage. Die Schnitzereien zeigen Szenen aus der Sage von Sigurd. Heute werden die Türpfosten in der Universitetets Oldsaksamling in Oslo aufbewahrt.[39]

Das Umschlagfoto der englischen Ausgabe zeigt Grani (Sigurds Pferd) mit Fáfnirs Schatz auf dem Rücken, während das Umschlagfoto der deutschen Ausgabe von Birgit Gitschier eigens für den Verlag Klett-Cotta illustriert wurde[40]. Bill Sandersons Illustrationen im Innern des Buches, die die englische und deutsche Ausgabe gemein haben, zu Beginn jeden Kapitels, zeigen (in der Reihenfolge, in der sie im Buch erscheinen):

  • Regin beim Schmieden des Schwertes für Sigurd
  • Regin stellt ein Schwert auf die Probe
  • Sigurd tötet Fáfnir
  • Sigurd probiert von Fáfnirs Blut
  • Gunnar spielt in der Schlangengrube (mit den Füßen) Harfe
  • Grani mit der Schatztruhe auf dem Rücken
  • Sigurd tötet Regin

Die letzten drei Motive sind auf dem Türrahmen umgekehrt angeordnet, folgen dort also der Reihenfolge der Geschichte.

Deutsche Übersetzung

Klett-Cotta kündigte am 22. Februar 2010 eine deutsche Übersetzung an, die am 20. August 2010 unter dem Titel Die Legende von Sigurd und Gudrún als zweisprachig deutsch-englische Ausgabe (die englischen Originalverse werden neben den ins Deutsche übersetzten Versen wiedergegeben) erschienen ist. Übersetzer ist Hans-Ulrich Möhring, der die Gedichte unter Beibehaltung der Stabreimb-Versform ins Deutsche übertragen hat.

Die Probleme, denen sich Möhring während der Übersetzug stellen musste, schildert er in seinem Vorwort Zur Übersetzung. Dort schreibt er, dass Form und Regeln eines Stabreimes zwar einfach seien, aber man auch jedesmal bedenken müsse, wie viele Silben pro Vers erlaubt seien, auf wie viele man, zum Beispiel bei längeren deutschen Wörtern, auffüllen dürfe und was alliterieren dürfe, um Tolkiens Intension seines Werkes, als sehr einfache Übersetzung nach nordischem Textschema, nicht zu verfälschen[41].
Fraglich war auch, inwieweit Verknappungen oder altertümlicher Sprachstil in der Konstruktion beziehungsweise den Versinhalten sinnvoll wären. Möhring entschied sich, in diesen Fällen der Verständlichkeit für den deutschen Leser Vorrang zu geben[42].
Zitate aus der Älteren Edda, Wölsungen-Saga oder anderen nordischen Werken entnahm Möhring keiner besonderen deutschen Übersetzung, sondern übersetzte sie direkt aus dem Englischen ins Deutsche, zog sie aber unter Umständen zurate.
Bei Fragen zum Altnordischen und zu Interpretationen des Textinhaltes standen ihm Tolkien-Experte Tom Shippey und der deutsche Autor und Übersetzer Karl-Ludwig Wetzig beratend zur Seite. Für die Übersetzungsarbeit erhielt Möhring Unterstützung und ein Förderstipendium des Deutschen Übersetzerfonds.[43]

Rezensionen

Anmerkungen und Verweise

  1. Die Legende von Sigurd und Gudrún in der Datenbank der Deutschen Nationalbibliothek
  2. Briefe von J. R. R. Tolkien; Brief 295 vom 29. März 1967
  3. Ein Bericht auf readings.com.au
  4. Das Vorwort wurde im Internet auszugsweise vorab veröffentlicht: Christopher Tolkien’s Foreword to ‘Sigurd and Gudrún’!
  5. In der deutschen Ausgabe von Upphaf – Eingang ist in Strophe 14 (S. 83) von einem Unsterblichen (Vers 2) die Rede, der das Sterben geschmeckt hat / und stirbt drum nicht mehr (Vers 3 f.), Schlangentöter (Vers 5) und Spross Ódins (Vers 6) ist.
  6. Die Legende von Sigurd und Gudrún. Völsungakviða en nýja - das neue Wölsungenlied. „I: Andvara-gull - Andwaris Gold“, S. 88-99
  7. Die Legende von Sigurd und Gudrún. Völsungakviða en nýja - das neue Wölsungenlied. „II: Signý“, S. 100-129
  8. Die Legende von Sigurd und Gudrún. Völsungakviða en nýja - das neue Wölsungenlied. „III: Dauði Sinfjötla - Sinfjötlis Tod“, S. 130-139
  9. Die Legende von Sigurd und Gudrún. Völsungakviða en nýja - das neue Wölsungenlied. „IV: FÅ“ddr Sigurðr - Sigurds Geburt“, S. 140-153
  10. Lindwürmer (vom altnordischen lint für Schlange) sind schlangen- und drachenähnliche Wesen germanischer (hauptsächlich nordischer) Sagen.
  11. Die Legende von Sigurd und Gudrún. Völsungakviða en nýja - das neue Wölsungenlied. „V: Regin“, S. 154 und 155
  12. Die Legende von Sigurd und Gudrún. Völsungakviða en nýja - das neue Wölsungenlied. „V: Regin“, S. 156-191
  13. Die wortgetreue Übersetzung des im Original verwendeten Begriffes serpent-slayer als Schlangentöter setzt voraus, dass es sich (zumindest in Die Legende von Sigurd und Gudrún) bei Fáfnir (anders als weithin angenommen wird) nicht um einen Drachen, sondern um einen Lindwurm handelt.
  14. Die Legende von Sigurd und Gudrún. Völsungakviða en nýja - das neue Wölsungenlied. „VI: Brynhildr - Brynhild“, S. 192-209
  15. Die Legende von Sigurd und Gudrún. Völsungakviða en nýja - das neue Wölsungenlied. „VII: Guðrún - Gudrún“, S. 210-237
  16. Die Legende von Sigurd und Gudrún. Völsungakviða en nýja - das neue Wölsungenlied. „VIII: Svikin Brynhildr - Die betrogene Brynhild“, S. 238-261
  17. Die Legende von Sigurd und Gudrún. Völsungakviða en nýja - das neue Wölsungenlied. „IX: Deild - Streit“, S. 262-317
  18. Die Legende von Sigurd und Gudrún. Guðrúnarkviða en nýja - das neue Gudrúnlied, S. 382-401
  19. Die Legende von Sigurd und Gudrún. Guðrúnarkviða en nýja - das neue Gudrúnlied, S. 404-407
  20. Die Legende von Sigurd und Gudrún. Guðrúnarkviða en nýja - das neue Gudrúnlied, S. 410-443
  21. Die Legende von Sigurd und Gudrún. Guðrúnarkviða en nýja - das neue Gudrúnlied, S. 444-457
  22. Die Legende von Sigurd und Gudrún. Guðrúnarkviða en nýja - das neue Gudrúnlied, S. 458-475
  23. Die Legende von Sigurd und Gudrún. Guðrúnarkviða en nýja - das neue Gudrúnlied, S. 476-493
  24. Die Legende von Sigurd und Gudrún. Vorwort, S. 13
  25. Die Legende von Sigurd und Gudrún. Vorwort, S. 13-16
  26. Die Legende von Sigurd und Gudrún. Vorwort, S. 13 und 14
  27. Die Legende von Sigurd und Gudrún. Vorwort, S. 14 und 15
  28. Die Legende von Sigurd und Gudrún. Vorwort, S. 14
  29. Als Alliteration wird der gleiche Anlaut (Laut am Beginn einer Silbe) der betonten Silben von aufeinanderfolgenden Wörtern bezeichnet; vgl. den Eintrag in der Internetdatenbank des Duden-Verlags
  30. zitiert nach der Ballade Die Brück' am Tay von Theodor Fontane
  31. zitiert nach dem Eintrag zu Stabreim in der Internetdatenbak des Duden-Verlags
  32. zitiert nach der Ballade Die Brück' am Tay von Theodor Fontane
  33. Ein Eintrag zum Stichwort Stabreim auf wissen.de
  34. The Legend of Sigurd and Gudrún. Völsungakviða en nýja - the New Lay of the Völsungs. „IV: FÅ“ddr Sigurðr - Sigurd born“, Strophe 13, Vers 1 f.
  35. Die Legende von Sigurd und Gudrún. Völsungakviða en nýja - das neue Wölsungenlied. „IV: FÅ“ddr Sigurðr - Sigurds Geburt“, Strophe 13, Vers 3 f.
  36. The Legend of Sigurd and Gudrún. Guðrúnarkviða en nýja - the New Lay of Gudrún. Strophe 94, Vers 1 f.
  37. Die Legende von Sigurd und Gudrún. Guðrúnarkviða en nýja - das neue Gudrúnlied. Strophe 94, Vers 1 f.
  38. www.billsandersonart.com
  39. Stabkirche (deutsche Wikipedia)
  40. Internetseite der Illustratoren der deutschen Ausgabe von Die Legende von Sigurd und Gudrún
  41. Die Legende von Sigurd und Gudrún. Zur Übersetzung, S. 68 und 69
  42. Die Legende von Sigurd und Gudrún. Zur Übersetzung, S. 69
  43. Die Legende von Sigurd und Gudrún. Zur Übersetzung, S. 72

Literaturverzeichnis

  • J. R. R. Tolkien, Christopher Tolkien (Hrsg.): Die Legende von Sigurd und Gudrún. Hobbit-Presse. Klett-Cotta, 2010 (Originaltitel: The Legend of Sigurd and Gudrún, übersetzt von Hans-Ulrich Möhring), ISBN 978-3-608-93795-4. Zweisprachige, englisch-deutsche Ausgabe.
  • J. R. R. Tolkien, Christopher Tolkien (Hrsg.): The Legend of Sigurd and Gudrún. Harper Collins Publishers, London 2009, ISBN 978-0-007-31723-3.

Weblinks